Vier Fragen an … Heiko Schwarzburger, Chefredakteur vom „Photovoltaik“ Magazin
Heiko Schwarzburger ist Chefredakteur bei „Photovoltaik“. Das seit 2007 monatlich erscheinende Fachmagazin ist das Leitmedium der PV- und Solarbranche im deutschsprachigen Raum. Herr Schwarzburger studierte an der Technischen Universität Dresden und der Freien Universität Berlin Maschinenbau. Als Wissenschaftsjournalist arbeitete er 15 Jahre lang für verschiedene Zeitungen, zum Beispiel „Der Tagesspiegel“ und die „Frankfurter Rundschau“. Mittlerweile ist Herr Schwarzburger vornehmlich für Fachblätter der Energiebranche tätig.
Milk the Sun: Lieber Herr Schwarzburger, die Liste derer, denen in den letzten Monaten und Jahren ein Ausbremsen der Energiewende vorgeworfen wurde, ist lang. Wie schätzen Sie die klimapolitischen Ergebnisse der letzten Legislaturperiode der schwarz-gelben Regierung ein, der nach Kanzlerin Merkel „erfolgreichsten Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“?
Heiko Schwarzburger: Für die erneuerbaren Energien ist die Politik der Bundesregierung nur schädlich. Sie hat die Märkte stark verunsichert. Die zu schnelle Kürzung der Einspeisevergütung in der Photovoltaik hat beispielsweise der deutschen Solarindustrie schwer zugesetzt. Wer den erneuerbaren Energien schadet, schadet aber auch der Gesellschaft insgesamt. Sie wird in der unvermeidlichen Modernisierung behindert. Das wird sich spätestens in der kommenden Legislaturperiode rächen: mit weiter steigenden Strompreisen, mit Werteverlusten bei den Unternehmen und auf dem Immobilienmarkt.
Denn übersehen wird oft auch, dass die kontraproduktiven Entscheidungen und Vorschläge aus der Regierungskoalition für die bestehenden Industrien in Deutschland mit erheblichen Konsequenzen verbunden sind. Denn nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Solarindustrie steht auf dem Spiel. Es geht um die Konkurrenzfähigkeit der Energiewirtschaft schlechthin, wobei ich die großen Energieversorger ausdrücklich einbeziehe. Man gaukelt den Konzernen vor, dass es mit großzügiger Unterstützung aus Berlin möglich sein könnte, die Energieversorgung in Deutschland beispielsweise aus großen Offshore-Windparks zu speisen. Die ökonomischen Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache: Die Verluste aus diesem Geschäft gehen für RWE, Eon oder Vattenfall in die Milliarden Euro, trotz der Übernahmen enormer Risiken durch die Gesellschaft. Da wird ein Geschäftsmodell – und ein Politikmodell – verfolgt, das keine Zukunft mehr hat. Wer heute noch an großen Kraftwerken mit Brennstäben, Kohle oder Offshore-Windkraft festhält, wird ökonomisch verschwinden. Die Zeit der Dinosaurier ist vorbei.
Es geht aber auch um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt. Deutschland ist arm an Rohstoffen, immer mehr Kapital wird für den Ankauf von Brennstoffen (Kohle, Erdöl, Uran) aufgewendet und gebunden. Das spüren die Unternehmen, das spüren die öffentlichen Haushalte der Gemeinden, Städte, Bundesländer und des Bundes. Nur die erneuerbaren Energien bieten einen Ausweg aus dieser Misere. Ihr preisdämpfender Effekt macht sich bereits heute an der Strombörse bemerkbar. Wer sich das nicht klar macht, schadet der deutschen Wirtschaft.
Milk the Sun: Unabhängig davon welche Partei nach dem 22.September in den Bundestag einziehen wird und unabhängig von der dann herrschenden Koalition, kommen auf die neue Bundesregierung viele wichtige und prägende energiepolitischen Entscheidungen zu. Was erwarten Sie sich von der Bundesregierung nach den Wahlen?
Heiko Schwarzburger: Ich bin Bürger dieses Landes, und ich erwarte, dass die politisch Verantwortlichen endlich zu ihrer ursächlichen Aufgabe zurückkehren: Sie müssen die Gesellschaft am Leben erhalten und ihre Spielräume erweitern. Sauberer und preiswerter Strom ist eine Daseinsbedingung für das demokratische Gemeinwesen. Denn die Geschichte der Menschheit und ihres politischen Systems ist die Geschichte der Verfügbarmachung von Energiequellen: Land, Lebensmittel, Rohstoffe, Wärme und Elektrizität. Es kann nicht darum gehen, die Atomindustrie zu retten, denn sie ist bereits tot. Das will doch kein Mensch mehr. Ich erwarte, dass wir endlich darüber reden, welche Energieversorgung und welcher Mix künftig am besten für Deutschland ist. Nicht für die Energiekonzerne, die Banken oder einzelne Branchen der Industrie. Eine politische Kaste, die sich dieser Aufgabe nicht stellt, ist überflüssig.
Milk the Sun: Derzeit herrscht eine große Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung, wenn es um das Thema Erneuerbare Energien und die damit zusammenhängende Energiewende geht. Der einzelne erstickt in einem Schwall an Pro-und-Anti-Propaganda, was letztendlich lediglich Verunsicherung und Verwirrung zur Folge hat. Es gibt nur wenige Stimmen die zur Ordnung rufen und die Diskussion auf eine sachliche und logische Ebene zurückführen wollen. Wie ist ihr Vorschlag für ein konstruktiveres Vorgehen in diesen Fragen?
Heiko Schwarzburger: Es ist ein großer Vorzug in dieser Gesellschaft und ihrer medialen Vielfalt, dass niemand die Macht für einen Ordnungsruf hat. Zum Glück, denn die großen Energieversorger und ihre Satrapen im politischen Räderwerk würde diese Zensur nur zu gern ausüben. Das haben wir bei den irrsinnigen Vorschlägen der schwarz-gelben Koalition gegen das EEG erlebt, bei der so genannten Strompreisbremse des Herrn Altmaier und auch bei Peer Steinbrück von der SPD. Um die Menschen zu diskreditieren, die Solarstrom in ihrem Haus oder in ihrer Firma selbst nutzen, verwendete er das Wort „Sozialschmarotzer“. Ich halte das für eine unerhörte, politische Entgleisung. Ich empfehle Victor Klemperers „LTI – Die Sprache des Dritten Reiches“, dort sind die etymologischen Wurzeln solcher Floskeln sehr gut analysiert.
Ich schlage vor, über die erneuerbaren Energien künftig sachlich zu diskutieren. Lassen Sie uns über die Chancen sprechen. Deutschland hat so viele kluge, kreative Köpfe, die sich diesem Thema widmen. Und es werden immer mehr. Wir sollten also vor allem ermöglichen, die erneuerbaren Energien zu nutzen. Von mir aus auch ohne Einspeisevergütung. Wichtig sind die Priorität bei der Netzeinspeisung und der Umbau der Stromnetze zu einem freien, demokratischen Handelsplatz, nach dem Vorbild der Liberalisierung in der Telekommunikation. Das wäre ein marktwirtschaftlicher Zugang. Allerdings fürchte ich, das wird weder mit Herrn Altmaier noch mit Herrn Steinbrück möglich sein. Erst recht nicht mit den Freidemokraten, die das alte System der Energieversorgung unverhohlen protegieren. Als ob man es festhalten könnte.
Milk the Sun: Stéphane Hessel bezeichnete den Kampf für eine nachhaltige und feste Umweltpolitik als eine der Hauptaufgaben der Menschen im 21. Jahrhundert. Die Erkenntnisse der Wissenschaft und die Veränderungen des Klimas geben ihm Recht. Dennoch passiert verhältnismäßig wenig, obwohl es letztendlich um die Existenz der menschlichen Spezis geht. Wie ist ihr Standpunkt dazu, dass sich angesichts eines derart dringenden Themas noch immer in politischen und wirtschaftlichen Grabenkämpfen ergeben wird?
Heiko Schwarzburger: Ich habe von Monsieur Hessel bisher wenig gelesen, und so neu scheint seine These nicht. Aber es ist (leider) immer noch notwendig, sie permanent zu wiederholen. Weil die Widerstände sehr stark sind.
Im Prinzip können Sie die ganze Menschheitsgeschichte als Hoffnungsgeschichte auf eine bessere Welt lesen: Schon zu biblischen Zeiten erschien das Paradies als grün, reich und gerecht. Ohne Kriege, Krankheiten und Müllhalden. So eine Welt ist im Werden, seit sechstausend Jahren. Die laufenden Auseinandersetzungen zeigen, dass sich überall auf der Welt die Menschen aufmachen, um diese Vision einzufordern. Dazu gehörte die „Wende“ 1989 in Ostdeutschland und im Ostblock. Dazu gehören auch der so genannte „Arabische Frühling“, die Proteste in Brasilien und in der Türkei, der weltweite Aufschrei gegen die Stasi-Methoden der NSA und anderer Geheimdienste. Die Leute nehmen es nicht mehr hin, abgefrühstückt zu werden. Und bei den erneuerbaren Energien ist es ähnlich: Die größten Länder Asiens, die USA, Brasilien und Südafrika entwickeln die Energieversorgung aus Wind und Sonne stetig weiter, überholen sogar Deutschland. Weil sie die Chancen erkennen. Die Lawine rollt, und die Frage ist nur, ob die widerstrebenden politischen Kräfte warten wollen, bis sie darunter begraben werden. Immer mehr Kommunen und Städte, immer mehr Unternehmen und Organisationen wollen sich selbst aus Sonnenstrom und Sonnenwärme, sogar mit Kleinwindrädern versorgen. Das ist nicht mehr zu stoppen.
Deshalb teile ich Ihre Skepsis nicht ganz. Es ist notwendig, dass wir diese Grabenkämpfe durchstehen. Das Neue setzt sich nur im Widerstand gegen das Alte durch, und da scheint mir gerade in unserer Zeit sehr viel in Bewegung zu sein. Alle ökonomischen Zahlen weisen daraufhin, dass die erneuerbaren Energien vielleicht zu verzögern, aber nicht mehr zu verhindern sind. Dennoch: Wir dürfen nicht nachlassen. Denn angesichts der Klimakatastrophe und der zunehmenden Armut auf der Erde brauchen wir die Energiewende möglichst schnell. Es geht ums Ganze. Dafür lohnt es sich doch, in den Graben zu steigen.
Wir bedanken uns bei Herrn Schwarzburger für das Interview.
Im Rahmen der Interviewreihe “Vier Fragen an …” stellt der Milk the Sun Blog bis zur Bundestagswahl am 22.September 30 Tage lang führenden Köpfe aus Wirtschaft, Politik und Medien vier Fragen zu den Erwartungen an die Energiepolitik Deutschlands der zurückliegenden und kommenden Jahre. Bisher interviewten wir Sebastian Bolay (DIHK)