„Mitte des Jahrhunderts sollte man das Kohlezeitalter hinter sich gelassen haben“

„Mitte des Jahrhunderts sollte man das Kohlezeitalter hinter sich gelassen haben“

Weltweit müssen wir rasch handeln, um den Klimawandel zu besiegen. Bei den Treibern der Energiewende – den Bürgern – dominiert allerdings die Verunsicherung. Trotz bevorstehender EEG-Novelle und weiteren Änderungen. Die Chancen, dass es dem deutschen Photovoltaik-Markt Ende 2016 deutlich besser geht, sind gering. Das hat Gründe. Ein Interview mit Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

 

Im vergangenen Jahr 2015 wurde sowohl auf dem G7-Gipfel in Bayern als auch auf der Klimakonferenz in Paris festgelegt: Die Welt muss als Kollektiv klimafreundlicher werden und Erneuerbare Energien ausbauen. Wie schätzen Sie die festgelegten Ziele im Hinblick auf ihre Realisierbarkeit ein – und welche Rolle wird Deutschland spielen, jetzt, wo die Union die Energiewende noch weiter ausbremsen möchte?

Prof. Dr. Claudia KemfertDie Ziele sind ambitioniert, aber durchaus realisierbar – allerdings nur, wenn weltweit rasch gehandelt wird. Um das Klimaziel zu erreichen, wäre es notwendig, den globalen Kohleausstieg heute einzuleiten. Mitte des Jahrhunderts sollte man das Kohlezeitalter hinter sich gelassen haben. Zudem muss sehr viel mehr getan werden, um Energie einzusparen und Öl durch nachhaltige, klimaschonende Stoffe zu ersetzen, vor allem im Bereich des Transports und der Mobilität. Deutschland kann in diesem Prozess weltweit ein Vorbild sein. Das Wort „Energiewende“ hat es in den internationalen Sprachgebrauch geschafft – und die ersten Schritte hin zu einer erfolgreichen Umsetzung sind geschafft, indem die erneuerbaren Energien ausgebaut und die ersten Atomkraftwerke sukzessive abgeschaltet wurden. „Made in Germany“ steht auch im Bereich umweltfreundlicher Technologien für Qualität. Leider ist der Anteil von Kohlestrom noch immer viel zu hoch, zudem ist die Mobilität alles andere als nachhaltig, wie zuletzt der „Diesel-Skandal“ eindrucksvoll gezeigt hat. Jetzt gilt es, die Energiewende konsequent fortzusetzen, sie nicht auszubremsen, sondern das Energiesystem mittelfristig konsequent umzubauen. Der Weg ist lang, bis das langfristige Klimaziel erreicht sein wird. Umso wichtiger ist es, heute zu beginnen. Die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes sind riesig.

 

Der Photovoltaik-Zubau in Deutschland ist im vergangenen Jahr so stark zurückgegangen, dass erstmals die EEG-Vergütung stabil geblieben ist – und mindestens bis Ende März 2016 auch stabil bleibt. Welche Maßnahmen können hier eine Trendwende einleiten?

Prof. Dr. Claudia KemfertEs dominiert nach wie vor die Verunsicherung, da die Energiewende schlecht geredet wird und die angeblich so hohen Kosten eingedämmt werden sollen. Die Installation von Solarenergie lohnt sich aber auch noch bei verminderten Vergütungssätzen, da die Kosten immer weiter sinken. In der Konsequenz hat man den Solarenergiemarkt hierzulande massiv ausgebremst und lässt sehenden Auges zu, dass Wettbewerber aus anderen Ländern in die Lücke stoßen. Sehr viele Arbeitsplätze sind hierzulande so bereits verloren gegangen. Die Energiewende sollte nicht weiter ausgebremst, sondern konsequent fortgeführt werden – und dabei spielt die Solarenergie eine wichtige Rolle. In der Zukunft sollten auch die Versorgungssicherheit und Flexibilität entlohnt werden.

 

„Die Chancen, dass es dem PV-Markt (in Deutschland) nach diesen Änderungen deutlich besser geht, sind aber nicht sehr hoch.“

 

Interessant in diesem Zusammenhang kann auch die verpflichtende Direktvermarktung von Solarstrom sein. Sie soll Mehrerlöse gegenüber der üblichen EEG-Vergütung ermöglichen. Sehen Sie darin eine Chance für Anlagenbetreiber und den Ausbau von PV-Anlagen in Deutschland oder eher ein Risiko, bedingt durch zu viele Variablen im Rahmen der Direktvermarktung?

Prof. Dr. Claudia KemfertDie Direktvermarktung kann ein wichtiger Baustein sein. Die Chancen, Mehrerlöse zu erzielen, sind sicherlich da. Das Risiko liegt aber vor allem darin, dass der restliche Strommarkt immer noch viel zu sehr auf konventionelle Energiesysteme setzt und so zwei parallele Systeme aufrechterhalten werden. Daher rechnen sich die wenigsten Flexibilitätsoptionen im Strommarkt. Das wird sich erst ändern, wenn neue Marktsysteme den Stromangebotsüberschuss vermindern und die sichere Stromversorgung über ausreichend flexible Preise entlohnt werden kann.

 

Das Jahr 2016 bringt viele Neuerungen. Von der verpflichtenden Direktvermarktung über die Anpassung und Weiterführung der Ausschreibungen bis hin zu einem neuen Erneuerbaren Energie Gesetz (EEG) im Sommer. Wie könnte Ihrer Meinung nach der deutsche Photovoltaikmarkt Ende 2016 aussehen?

Prof. Dr. Claudia KemfertHoffentlich deutlich besser als heute. Die Chancen, dass es dem PV-Markt nach diesen Änderungen deutlich besser geht, sind aber nicht sehr hoch. Sowohl die geplanten Ausschreibungen als auch weitere Änderungen bergen enorme Risiken für die gesamte Branche – die Energiewende droht weiter abgewürgt zu werden. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Ausschreibungen nicht notwendigerweise kosteneffizient sind, zudem können die Ausbauziele verfehlt werden und die Vielfalt an Akteuren kann schwinden. Es gibt jedoch auch Chancen für den PV-Markt, gerade für kleinere dezentrale Anlagen, die von den Ausschreibungen ausgenommen sind. Daher ist es wichtig, die Energiewende nicht zu behindern, sie nicht weiter schlecht zu reden, sondern vielmehr die großen wirtschaftlichen Chancen hervorzuheben und umzusetzen.

 

Frau Prof. Dr. Kemfert, wir danken Ihnen für das Interview.

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Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Sie gilt als Wirtschaftsexpertin auf den Gebieten Energieforschung und Klimaschutz.

Titelbild: © Marc Darchinger

 

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