Interview: „Bei dem jetzigen Tempo brauchen wir rund 150 Jahre, bis die Energiewende abgeschlossen ist.“
Nach der NRW-Wahl geht es nun mit großen Schritten auf die Bundestagswahl im September zu. Daher haben wir die Chance ergriffen, den anerkannten Energieexperten Prof. Dr. Volker Quaschning zur Zukunft der deutschen Energiewende zu befragen.
Herr Quaschning, die Bundestagswahlen stehen an – das Thema Energiepolitik mittendrin. Wie groß ist Ihre Hoffnung auf das Gelingen der Energiewende?
Momentan eher gering. Keine derzeit im Bundestag vertretene Partei hat ein schlüssiges Konzept, wie die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens mit einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs möglichst auf 1,5°C auch eingehalten werden können. Darum müssen nun die Wähler echte Maßnahmen einfordern. Schließlich geht es bei dem Thema um die Lebensgrundlagen unserer Kinder.
Einige Stimmen misstrauen Erneuerbaren Energien. Der Ausdruck Versorgungssicherheit wird zum Dauerläufer. Wie weit sind wir tatsächlich mit den Erneuerbaren? Welche ungelösten Fragen gibt es tatsächlich noch zu beantworten?
Als Ingenieur finde ich das Blackout-Thema ermüdend. Bereits 1975 drohte der damalige badenwürttembergische Ministerpräsident Hans Karl Filbinger, dass ohne den Neubau eines bestimmten Kernkraftwerks in 5 Jahren die Lichter ausgehen würden. Ich war neulich im Ländle und so richtig dunkel war es dort nicht, obwohl das angemahnte Kernkraftwerk nie gebaut wurde. Sicher kann man bei der Energiewende auch Fehler machen, die dann zu Problemen führen. Prinzipiell sind aber dezentrale erneuerbare Energien in Kombination mit Speichern viel sicherer als zentrale Strukturen, die punktuell sehr verwundbar sind. Wenn jemand die drei richtigen Strommasten oder die richtigen Großkraftwerke in Deutschland gleichzeitig lahmlegt, dann wird es wirklich dunkel.
Prinzipiell sind aber dezentrale erneuerbare Energien in Kombination mit Speichern viel sicherer als zentrale Strukturen, die punktuell sehr verwundbar sind.
Sie machen sich für eine Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr stark. Diese Sektoren bedienen unterschiedliche Zielgruppen, agieren aus unterschiedlichen Industrien heraus und wirken insgesamt sehr inhomogen. Welche politischen Optionen gibt es, um daraus eine Einheit im Sinne der Energiewende zu formen?
Wenn wir den Klimaschutz ernst meinen, müssen wir neben der Stromversorgung auch den Verkehr und die Wärmeversorgung ausschließlich auf Basis erneuerbarer Energien sicherstellen. Das kann nur gelingen, wenn Solar- und Windstrom auch große Teile des Energiebedarfs beim Verkehr und der Wärme abdecken. Das ist aber auch eine Chance, um den Ausbau zu forcieren, ohne fehlende Leitungen vorzuschieben. Durch die Kopplung der Sektoren lassen sich Überschüsse der erneuerbaren Stromerzeugung viel leichter nutzen und Defizite leichter ausgleichen. Die Politik muss nun dafür sorgen, dass das auch funktioniert. Dazu brauchen wir erst einmal signifikante Mengen an Elektroautos und Wärmepumpen. Ein schnellstmögliches Verbot von Verbrennungsmotoren sowie Öl- und Gasheizungen könnte hier schnell Abhilfe schaffen.
Als Export-Nation ist Deutschland auch vom Verkauf von Gütern abhängig, die unter enormem Energiebedarf produziert werden. Besteht Gefahr, dass die Energiewende die Produktion so verteuert, dass ganze Industrien in Gefahr geraten?
Solange andere Länder fossile Energien mit gigantischen Summen subventionieren oder sie von der Begleichung der verursachten Umwelt- und Klimaschäden freistellen, kommt es zu enormen Wettbewerbsverzerrungen. Wollen wir bestimmte energieintensive Industriezweige nicht gefährden, darf eine temporäre Subvention dieser Unternehmen kein Tabu sein. Es ist aber absurd, damit insgesamt die Energiewende infrage zu stellen. Mittelfristig sorgen erneuerbare Energien für eine Stabilisierung und langfristig für ein Sinken der Energiepreise. Ein reiches Land wie Deutschland kann sich bis dahin beides leisten: Eine schnelle Energiewende und ein Stützen relevanter Industriezweige.
Deutschland, Vorreiter der Energiewende. Stimmt diese Aussage noch? Oder hinken wir unserem eigenen Image her?
Das war einmal. Bei dem jetzigen Tempo brauchen wir rund 150 Jahre, bis die Energiewende abgeschlossen ist. China hat inzwischen ganz klar die Rolle als Motor für die weltweite Energiewende übernommen.
Mit einer spitzen Zunge könnte man das EEG als die größte Entwicklungshilfe der Energiebranche weltweit bezeichnen. Viele andere Ländern sind dem deutschen Beispiel mit ähnlichen Gesetzgebungen gefolgt. Wie sieht es um die Zukunft des EEG aus?
Das EEG war das beste Entwicklungshilfeprojekt, das Deutschland jemals gestartet hat. Doch anstatt das zu feiern und weiter an dem Erfolg zu arbeiten haben die Gegner der Energiewende das EEG von innen heraus zerstört. Das EEG ist zu einem wahren Monster verkommen, mit Instrumenten wie Ausschreibungen oder einer Eigenverbrauchsumlage, die die Energiewende mehr behindern als fördern. Ob das Gesetz in der jetzigen Form noch zu retten ist, wage ich zu bezweifeln. Was wir jetzt brauchen, ist ein echtes Klimaschutzgesetz, dass verbindlich die nötigen Maßnahmen zum Erreichen der Klimaschutzziele ohne Wenn und Aber durchsetzt. Dafür bräuchten wir aber auch mutige Politiker mit Weitblick, die an die Zukunft unseres Landes und unserer Kinder und nicht nur an ihre Wiederwahl denken. Mal sehen, wie viele davon in den nächsten Bundestag kommen.