Qualität von Solarmodulen: „Muss sich ernsthaft erst jemand verletzen?“
Klartext: Karl-Heinz Remmers, Vorstand der Solarpraxis AG, über aktuelle Probleme und Mängel rund um Produktionen, Garantien und Zertifizierungen von Solarmodulen für den Weltmarkt.
Ich habe am 15.1.2018 einen Blog unter dem bewusst provokanten Titel „Welchen Klebstoff die wohl morgens schnüffeln“ veröffentlicht. Hintergrund des Blogs und auch des von Solarpraxis und Conexio am 27.2. veranstalteten „Qualitätstags“ bei der DKB-Bank in Berlin sind alte aber auch neue Qualitätsprobleme bei Solarmodulen.
Lange Garantie, aber Garantiegeber pleite
Noch immer stellen Solarmodule in Anlagen ohne Speicher die mit Abstand teuerste Komponente dar – bei großen Freilandanlagen noch immer mindestens 50-60% der Kosten, bei Dächern oft auch bis zu 50%. Mehr als genug Anlass also, die Funktion dieser Komponente genau anzusehen, zumal gerade für diese Komponente großspurige „Produktgarantien“ mit bis zu sagenhaften 30 Jahren gegeben werden, oder mindestens 25 Jahre sogenannte „Leistungsgarantien“ – von Seiten der Hersteller und natürlich unter gewissen Bedingungen, was im Prinzip ja auch in Ordnung ist. Nun müssen aber gerade bei der Produktgarantie diese Bedingungen dafür ziemlich genau definiert sein, sonst geht der Streit direkt los. Und Kunden sollten sich frühzeitig um auftretende Probleme kümmern und den Hersteller in die „Produktgarantie“-Pflicht nehmen, rechtzeitig bevor der Hersteller möglicherweise pleite ist. Denn das ist mit vielen passiert, die noch vor 10 Jahren die Stars und Marktführer der Branche waren. Es ist also nicht unwahrscheinlich, schon nach 5 bis 10 Jahren keinen mehr anzutreffen, der für die vergebenen Garantien einsteht.
Hersteller empfinden Produktionsmängel als normal
Und ist Ihnen bewusst, dass quasi per Norm (soweit nichts anderes vereinbart) bei jedem Leistungstest von Modulen die Messunsicherheit zunächst gegen den Kunden arbeitet? Wenn ein 270 Wp-Modul also bei einer Messung zur Auslieferung nur 262 Wp leistet, dann ist das noch „in Ordnung“, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Und noch schlimmer: Den Produktionsmangel „LID – lichtinduzierte Degradation“ empfinden viele Hersteller auch bis zu 3% als normal, deshalb setzt deren Leistungsgarantie (nicht Produktgarantie) auch erst bei 97% ein – 3% am Anfang plus 3% Messunsicherheit zu Ungunsten des Kunden sind also bereits nach „einmal Sonne“ für diese Leute normal. Sie kriegen nach dieser Denke also erst etwas zurück, wenn das 270 Wp-Modul nach drei Tage in der Anlage weniger als 254 Wp (!) erbringt. Klingt nach einer Sauerei und ist es auch.
Ein fabrikneues Modul muss auch nach den ersten Betriebswochen mindestens die Labelleistung erbringen, zumal es ja oft als „Plussortiert mit Labelleistung plus 5 Wp“ verkauft wird. Es ist daher dringend anzuraten, dies auch so festzuschreiben (als Teil der Produktgarantie) und eine Lösung für die Messtoleranzen zu haben. Dafür empfiehlt sich eine vertragliche Vereinbarung des Prüfinstituts oder der Prüfhardware/Bedingungen vor Ort. Und z.B eine Vereinbarung, die etwa die 3% Messtoleranz auf beide Parteien zu gleichem Anteil überträgt – also in diesem Fall 1,5% zu Ungunsten des Kunden, 1,5% zu Ungunsten des Lieferanten. Fair, oder?
Käufer nehmen Mängel oft fahrlässig in Kauf
Allerdings sind viele der Qualitätsprobleme von Solarmodulen auch noch immer „eigene Schuld“ der Käufer. Denn noch immer werden selbst für große Abnahmemengen keine konsistenten Vereinbarungen gemacht oder durchgängig geprüft. Und was soll denn passieren, wenn der Vertrieb dem Hersteller jeden Tag neue Kunden bringt, die sogar Module auf Basis von Verträgen kaufen, in denen nicht einmal die korrekte Adresse des Verkäufers eingetragen ist? Oder bei den Garantien in dem Kaufvertragsklopapier auf die Webseite als Quelle der Garantiebedingungen verweist, egal, was auch immer sich dort befindet? Kunden, die sich bei x-MWp-Einkäufen darauf allen Ernstes einlassen, überhaupt keine Qualitätskontrollen zu machen oder irgendwen irgendwo auf der Welt dafür engagieren, ohne die Details im Blick zu behalten – egal wie unfähig oder korrupt der Kontrolleur ist? Aber wie gesagt: Die meisten kontrollieren erst gar nicht – und sagen halt „Wir sind doch ein Bloomberg tier 1 und ach so groß“ und dann kuschen sie und bezahlen. Hauptsache billiger als beim anderen.
Ändern Sie das – fragen Sie auch bei Ihrem Händler gegebenenfalls nach und überlegen Sie sich auch, ob es den Händler morgen wohl noch geben wird. Sonst sind sie als Handwerker oder Betreiber schnell ziemlich alleine in der Vertragskette.
Hintergrund der „Wutüberschrift“ war auch eine Welle von Qualitätsproblemen mit Solarmodulen – von verschiedenen Qualitätsprüfern vornehmlich in England erfahren. Allerdings war das auch in Deutschland aufgefallen, und auch dort bei Kunden, die Produkte üblicherweise mit Schnelltests überprüfen, bevor sie zum Einsatz kommen. Und noch immer bekommen Fachunternehmen, die lange am Markt sind, zu hören „Sie sind der Erste, der sowas bemängelt“, „Das haben wir sonst nicht in diesen Produktionschargen“ oder auch „Das ist doch alles überhaupt kein Problem“.
Delaminierung: Das Märchen von der optischen Erscheinung
Die Probleme sind aber offensichtlich. So war 2017 für mich nach 25 Jahren das erste Jahr, in dem ich sofort delaminierende Solarmodule eines sogenannten „Tier1“-Herstellers in einem Solarpark erleben durfte. Als das Foto von der Baustelle kam, dachte ich sofort „Sieht aus wie delaminiert“ und fragte einen versierten Labor-Kollegen, der das in wenigen Minuten bestätigte. Dem Hersteller, der schon vorher wegen diverser anderer Mängel (u.a. Micro-Cracks, etc.) zurückgewiesene Module zur Bewertung übermittelt bekam, antworte nach einer ganzen Weile dann schriftlich, es sei eine „optische Erscheinung, wohl EVA-Reste aus vorher laminierten Modulen“. Angesehen hatte der Hersteller sich diese Module aber vor dieser schriftlichen Stellungnahme nicht. Also ab ins Labor damit, und dann fiel das gute Stück bei der Abnahme des Rahmens förmlich auseinander.
Nun folgte doch großes Bedauern und der erklärte Wille, alles umgehend aufzuklären und die beste Lösung für den Kunden zu finden – womit die Büchse der Pandora allerdings immer größer wurde: Angebliche Stromausfälle bei wenigen Modulen einer Fertigung in Thailand, die man aber nicht mehr besichtigen könne, weil die eben nicht mehr für den Hersteller arbeiten würde. Aber man könne trotzdem die Probleme auf wenige Module eindämmen. Unterlagen, ob die Module dort wirklich gefertigt wurden oder eine Stellungnahme des (großen deutschen) Zertifizierers: Fehlanzeige. Der ganze Vorgang ist dabei noch viel weitläufiger, und auch ich habe mich öfter gefragt, was die Kerle am Tisch genommen haben, wenn sie mir einen vom Pferd erzählen. Die Jungs sind so schmerzbefreit, dass sie offenkundig nicht mehr zwischen erfahrenen und unerfahrenen Kunden unterscheiden können und jedem dieselbe „wir haben sonst überhaupt keine Probleme mit der Ware“-Leier nebst dem Bären der „optischen Erscheinung“ aufbinden wollen.
Die Delamination neuer oder fast neuer Module ist auch in England ein Thema, nebst allen alten wie neuen Problemen. Alte Probleme wie heiße Dosen, mannigfaltige Probleme mit der Isolation, hochempfindliche Zellen oder die teilweise massiven Degradationsprobleme mit manchen Poly-PERC-Modulen. Beobachter meinen, dass nach England in den letzten Jahren „der letzte Dreck“ geliefert worden wäre, weil viele der ach so schlauen Finanzinvestoren auf Qualitätskontrollen verzichtet hätten – inklusive ihrer EPCs.
Muss sich erst jemand verletzen?
Auf dem Qualitätstag zeigte mir dann ein fitter Solarteur Bilder von Solarmodulen, bei denen schon auf dem normalen Bild erkennbar war, dass sich Zellen in den Modulen schneller erwärmen als andere. Der Solarteur reklamierte direkt (Anlage ist neu) und bekam die saudumme Antwort „Installationsfehler, falsch geklemmt“. Haha – aber erstmal massiv verunsichert und abgewimmelt. Ein anderer Solarteur kämpfte auch mit delaminierten Modulen, die nicht mal zwei Jahre alt waren. Antwort des Herstellers: Kein Thema für die Produktgarantie und Minderleistungen habt ihr ja noch nicht. Also: Nix mit Reklamation. Aber was soll eigentlich noch passieren außer dem „Auseinanderfallen“ eines Moduls? Muss sich erst jemand ernsthaft verletzen?
Gerade letzte Woche fragte eine besondere Vertriebsgranate einen Kollegen, warum der überhaupt die Qualität testen wolle, wo sie doch so ein toller Hersteller seien. Und natürlich kann man auch die Kunden kritisch fragen: „Warum kauft ihr für Millionen Euro Ware ein, die ihr nicht kontrolliert?“
Zoll hin, Regeln her: Der Markt steht unter Spannung
Ein Anlass ist natürlich der beschleunigende Fortschritt, welcher letztendlich die notwendigen weiteren Kostensenkungen ermöglicht. Und Fortschritt mit neuen Verfahren bedeutet immer neue Herausforderungen beim Erkennen von potenziellen Fehlern. 2017 dürfte das bisher innovativste Jahr in der Massenfertigung gewesen sein – wir haben ein regelrechtes Feuerwerk an Verfahrensinnovationen in der Fertigung gesehen.
Ständig müssen neue Verfahrungen und Vorprodukte entwickelt und immer schneller zum Einsatz kommen. Hinzu kommen Marktbarrieren und Zölle, die sich ständig ändern – gestern war es noch möglich, für die USA in Deutschland zu produzieren, heute gibt es darauf 30% Zölle. Wie Nomaden ziehen Fertigungen um den Globus, um den bunten Flickenteppich von Zoll- und Local-Content-Regeln im Griff zu halten.
Und der Markt kennt keine Gnade, die Produkte müssen immer billiger werden. Die Kunden zeigen derweil keinerlei Loyalität, sind wir beim Cent/Wp billiger als andere kauft er bei uns, sonst beim nächsten. Finanziert wird eh fast alles, was wie ein Solarmodul aussieht, auch OEM-Fertigungen mit großen Problemen werden durch internationale Rückversicherer mit ihren Policen abgedeckt. Und die Zertifikate sind, sorry, nicht mehr wert als Klopapier. Denn wem wird schon mal ein Zertifikat entzogen, obwohl er Zellen von sonst woher nimmt? Oder auch in den BOM-zertifizierte, aber in der Serie einfach nur schrottige Zellen voller Wafer-Fehler einsetzt? Das kontrolliert doch eh keiner. Und fragen Sie bei vielen Nachunternehmen doch bitte nicht nach Compliance. Irgendwo in einer Fertigung in einem abgelegenen Teil der Welt.