Interview zum Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung mit Timon Gremmels (SPD)
Am 9. Oktober hat die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz beschlossen. Damit sollen die nationalen Klimaziele erstmalig gesetzlich verankert und mit einem wirksamen Kontrollmechanismus versehen werden. Bundestagabgeordneter Timon Gremmels von der SPD kommentierte dies in einer Presseerklärung mit den Worten: „Solarsektor profitiert von Klimapaket der Großen Koalition“. Wie genau der Solarsektor in Deutschland vom Klimaschutzgesetz profitieren soll, wollte wir von Herrn Gremmels genau wissen.
Interview mit Timon Gremmels, MdB für die SPD
Milk the Sun: In Ihrer Presseerklärung vom 9. Oktober 2019 „Bundeskabinett beschließt Klimaschutzprogramm“ haben Sie berichtet, dass die Bundesregierung beschlossen hat, dass die installierte Leistung für PV-Anlagen bis 2030 auf 100 GW steigen soll und damit die Leistung der jährlich zu installierenden neuen PV-Anlagen von 2,5 auf rund 4,7 GW anwachsen muss. Durch welche Mechanismen soll dieser Anstieg des Zubaus gesteuert werden, und wird dieses jährliche Zubauziel gesetzlich verankert und beim Degressionsmechanismus berücksichtigt werden?
Timon Gremmels: Die erneuerbaren Energien bilden den Kern unserer Bemühungen für den Klimaschutz. Deshalb haben wir als SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der Union dafür gesorgt, den Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent zu erhöhen.
Die Bundesregierung hat dieses Ziel in ihrem Klimaschutzprogramm 2030 nun nochmals bekräftigt – und anerkannt: Die Photovoltaik als preiswerteste und akzeptierteste Form der erneuerbaren Energieerzeugung kann, soll und wird einen beträchtlichen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten.
Aus heutiger Sicht bedeutet das, dass die Leistung aller in Deutschland installierten Photovoltaik-Anlagen innerhalb der nächsten gut zehn Jahre von derzeit rund 49 GW auf dann knapp 100 GW verdoppelt werden muss, was einem jährlichen Zubau von etwa 4,7 GW entspricht.
Dafür werden wir den einst unter Bundesumweltminister Peter Altmaier eingeführten 52 GW Deckel vollständig abschaffen und für Dachanlagen den Zubaukorridor bzw. für Freiflächenanlagen das Ausschreibungsvolumen spürbar anheben.
Außerdem wollen wir das vereinbarte 65 Prozent Ziel im Erneuerbare-Energien-Gesetz rechtlich verankern, um die Ausbaupfade bei Bedarf, etwa im Rahmen der künftigen Entwicklung des Stromverbrauchs, weiter nach oben hin anpassen zu können.
Milk the Sun: Wie sieht die Bundesregierung aktuell die Gewichtung des Zubaus in den Bereichen private Dachanlagen, gewerbliche große Dachanlagen und Freiflächenanlagen?
Timon Gremmels: Freiflächenanlagen sind in der Stromerzeugung besonders preisgünstig, Dachanlagen hingegen kommen ohne weitere Flächenversiegelung aus und sind daher in der Bevölkerung besonders akzeptiert.
Als Anhänger einer dezentralen und bürgernahen Energiewende habe ich eine gewisse Präferenz für Anlagen, die genossenschaftlich geplant, gebaut und betrieben werden.
Außerdem müssen wir zusehen, dass auch Mieterinnen und Mieter stärker als bislang an der Energiewende partizipieren und von günstigem Solarstrom vom eigenen Dach profitieren können. Deshalb haben wir als SPD-Bundestagsfraktion dafür gesorgt, dass die Novelle des Mieterstromgesetzes noch in diesem Jahr erfolgen soll.
Momentan bergen vor allem große Gewerbedächer großes ungenutztes Potenzial; eher früher als später werden wir zudem innovative Wege einschlagen und Fassaden- oder Agro-Photovoltaik stärker in den Blick nehmen müssen.
Letzten Endes müssen wir alle Potenziale heben; wir brauchen private und gewerbliche Dachanlagen ebenso wie Freiflächenanlagen und innovative Photovoltaik-Lösungen, um unsere Ausbau- und Klimaziele zu erreichen.
Milk the Sun: Gerade bei den großen Dachanlagen und kleinen Freiflächenanlagen bis 750 KWp sehen viele Marktteilnehmer schon im Laufe des nächsten Jahres das Ende des Zubaus in diesem Segment. Durch die weiter sinkenden Vergütungssätze, bedingt durch den aktuellen Degressionsmechanismus, wird der Betrieb von PV-Anlagen, die die hohen Kosten, wie Dachsanierung und/oder hohe Netzanschlusskosten im Mittelspannungsbereich tragen müssen, nicht mehr möglich sein. Welche Maßnahmen sind hier geplant, diesen wichtigen Bereich nicht „sterben“ zu lassen?
Timon Gremmels: Ohne einen verstärkten Ausbau von PV-Dachanlagen wird das 65 Prozent Ziel nicht zu erreichen sein. Deshalb haben wir in einem ersten Schritt durchgesetzt, dass ‚Altmaiers Baby‘ – der 52 GW Deckel – noch in diesem Jahr vollständig abgeschafft werden soll.
Das ist eine gute Nachricht für die deutsche Solarwirtschaft und die Solarteure, die endlich langfristig planen können. Für die Zukunft haben wir im Blick, dass die notwendige Beschleunigung des Photovoltaik-Zubaus Implikationen auf den sog. atmenden Deckel hat, der aktuell eine monatliche Degression der Vergütung von 1,4 Prozentpunkten vorsieht.
Als SPD-Bundestagsfraktion werden wir genauestens darauf achten, dass dem Zubau in diesem Segment nicht die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird.
Milk the Sun: Wenn es nach Ihnen und der SPD gehen würde, was wären die nächsten konkreten Schritte, die im Erneuerbaren Energie Gesetz für den PV-Bereich angepackt werden müssen?
Timon Gremmels: Wir haben uns vorgenommen, die Vorgaben des Klimaschutzprogramms 2030 möglichst zügig und unverfälscht abzuarbeiten. Zudem werden wir den Mieterstrom noch in diesem Jahr umfassend novellieren.
In zähen Verhandlungen haben wir Peter Altmaier und der Unionsfraktion konkrete Zusagen abgerungen, die in diesem Herbst umgesetzt werden müssen – mit einem Fokus auf der dezentralen Stromerzeugung im Quartier, einer auskömmlichen Förderung und weiteren Erleichterungen: Ein großer Schritt Richtung sozial gerechte Energiewende, der zugleich die Voraussetzungen für einen ambitionierten Photovoltaik-Zubau in den Städten schaffen wird.
Nicht zuletzt wollen wir das 65 Prozent Ziel möglichst zeitnah gesetzlich verankern und im Erneuerbare-Energien-Gesetz die hierfür notwendigen technologie-spezifischen Ausbaupfade festlegen.
Und dann wäre da noch die neue europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die zahlreiche wegweisende Verbesserungen für Prosumenten und Energiegemeinschaften vorsieht, und die wir mit größtmöglichem Ambitionsniveau in deutsches Recht umsetzen wollen.
Milk the Sun: Noch im Laufe dieser Legislaturperiode werden die ersten PV-Anlagen aus der EEG-Vergütung fallen. In den darauffolgenden Jahren wird deren Anteil rasant ansteigen. Welche Überlegungen gibt es bei der Bundesregierung im Umgang mit dieser installierten Basis, die ja ggf. wegen Unwirtschaftlichkeit zurückgebaut werden muss?
Timon Gremmels: Wenn ab dem Jahr 2020 Photovoltaik-Anlagen sukzessive aus der EEG-Förderung fallen, dann haben wir ein erhebliches Interesse daran, dass ein nennenswerter Anteil dieser Anlagen noch einige Jahre weiterbetrieben wird.
Damit ein wirtschaftlicher Weiterbetrieb möglich bleibt, wollen wir die Rahmenbedingungen dieser älteren aber technisch oftmals einwandfreien Anlagen verbessern. Dazu gehört vor allem der vorgezeichnete Kohleausstieg, mit dem wir die Überkapazitäten am Strommarkt abbauen.
Ein Mindestpreis im Europäischen Emissionshandel, der laut Klimaschutzprogramm 2030 eingeführt werden soll, trägt ebenfalls dazu bei, die Börsenstrompreise zu stabilisieren.
Grundsätzlich haben Anlagenbetreiber die Möglichkeit, an alternativen Vermarktungsmodellen teilzunehmen. Start-ups in den Bereichen Community-Strom, virtuelle Kraftwerke und P2P-Handel zielen darauf ab, den erneuerbaren Strom zwischen Verbraucher und Erzeuger zu vermitteln.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich hier spannende innovative Geschäftsmodelle am Markt etablieren werden. Die Betreiber insbesondere kleinerer Solaranlagen hingegen werden ein Interesse daran haben, ihr Anlagenkonzept auf eine stärkere Eigenversorgung umzustellen; etwa in Verbindung mit staatlich geförderten Stromspeichern, die wir bei Abgaben und Umlagen weiter besserstellen wollen.
Über Timon Gremmels:
Seit der Bundestagswahl 2017 sitzt Timon Gremmels
für Kassel im Deutschen Bundestag. Dort ist er ordentliches Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion unter anderem für die Photovoltaik zuständig. Der ehemalige energiepolitische Sprecher der hessischen SPD-Landtagsfraktion setzt sich für eine dezentrale und bürgernahe Energiewende ein.