Vier Fragen an … Prof. Volkmar Liebig, CFO, avesco Financial Services AG
Prof. Volkmar Liebig ist der CFO der avesco Financial Services AG aus Berlin. Prof. Liebig konzentriert sich auf die Bereiche Unternehmens- und Wertpapiercontrolling sowie Führungs- und Kommunikationskultur zur Etablierung und Einhaltung anspruchsvoller Unternehmensstandards. Zudem lehrt Prof. Liebig Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Entrepreneurship an der Hochschule Ulm am ifm (Institut für Fremdsprachen und Management). Die avesco Financial Services AG wurde 1999 gegründet und hat sich auf nachhaltige Investments spezialisiert.
Milk the Sun: Die Liste derer, denen in den letzten Monaten und Jahren ein Ausbremsen der Energiewende vorgeworfen wurde, ist lang. Wie schätzen Sie die klimapolitischen Ergebnisse der letzten Legislaturperiode der schwarz-gelben Regierung ein, der nach Kanzlerin Merkel „erfolgreichsten Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“?
Prof. Liebig: Für mich hat das Eingangsstatement relativ wenig mit der gestellten Frage zu tun. Das „Ausbremsen der Energiewende“ setzt voraus, dass es – wie auf einem Segelschiff – ein klares Konzept für eine Wende gibt, damit jeder weiß, welchen Beitrag er für das Manöver zu leisten hat, und welchen Nutzen der Segeltörn überhaupt hat. Es gibt jedoch kein klares Konzept für die Wende und es wird zu wenig mit den Anspruchsgruppen in der Gesellschaft kommuniziert. Der parteipolitische Erfolg der amtierenden Regierung ist enorm, weil mit dem überraschenden und konsequenten Ausstieg aus der Kernenergie ein Themen-Vakuum für die konkurrierenden Parteien erzeugt wurde. Der klimapolitische Erfolg ist jedoch im Kern eine Niederlage, weil z.B. die deutsche CO2-Bilanz sich aktuell verschlechtert hat – ganz im Gegensatz zu den vereinbarten Klimazielen.
Milk the Sun: Unabhängig davon welche Partei nach dem 22.September in den Bundestag einziehen wird und unabhängig von der dann herrschenden Koalition, kommen auf die neue Bundesregierung viele wichtige und prägende energiepolitischen Entscheidungen zu. Was erwarten Sie sich von der Bundesregierung nach den Wahlen?
Prof. Liebig: Es gibt einen erheblichen Handlungsbedarf, um die zunehmend dezentrale Erzeugung, die notwendige Umwandlung und die Verteilung von (Strom-)Energie so zu gestalten, dass die Wettbewerbsfähigkeit (Preisniveau), Ressourcenschonung (Energieeffizienz), Sozialverträglichkeit (Stakeholder-Balance) und vernunftethische Verantwortung (Perspektive der Nachhaltigkeit) bestmöglich berücksichtigt werden. Diese Aufgabe wird eine Bundesregierung nur schaffen, wenn sie die gesamte Zivilgesellschaft dabei mitnimmt. Ich erwarte, dass die Regierung diese Einsicht hat und entsprechend handelt.
Milk the Sun: Derzeit herrscht eine große Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung, wenn es um das Thema Erneuerbare Energien und die damit zusammenhängende Energiewende geht. Der einzelne erstickt in einem Schwall an Pro-und-Anti-Propaganda, was letztendlich lediglich Verunsicherung und Verwirrung zur Folge hat. Es gibt nur wenige Stimmen, die zur Ordnung rufen und die Diskussion auf eine sachliche und logische Ebene zurückführen wollen. Wie ist ihr Vorschlag für ein konstruktiveres Vorgehen in diesen Fragen?
Prof. Liebig: Politik hat dominantere Aspekte als Sachlichkeit oder gar Logik. Ich bin daher gar nicht sicher, ob sachliche Argumente dienlich sind oder ob die Logik ein Zugang zu einem konstruktiven Vorgehen sein könnte. Sachlichkeit oder Logik obsiegen typischer Weise nicht in der Politik. Vielmehr kommt es darauf an, den persönlichen Vorteil eines jeden Betroffenen (Stakeholder) mit dem kollektiven Vorteil der Gesellschaft zu verbinden – aus meiner Sicht eine Maxime erfolgreicher Politik. Das würde für das in Frage stehende Thema bedeuten, dass durch Kommunikation allen Anspruchsgruppen die bestehenden Alternativen transparent erläutert werden (Aufklärung), der persönliche Nutzen jeder Alternative kurz und langfristig dargelegt wird (ökonomische Sicht), die Option besteht, dass durch unternehmerische Aktivitäten (Entrepreneurship) die ökologischen Herausforderungen bewältigt werden können (Geschäftsmodelle für den Klimawandel) und jeder Stakeholder in der Gesellschaft die Chance und die Möglichkeit hat, an der Energiewende zu partizipieren, also letztlich einen Nutzen daraus ziehen kann, der naturgemäß unterschiedliche Formen hat.
Milk the Sun: Stéphane Hessel bezeichnete den Kampf für eine nachhaltige und feste Umweltpolitik als eine der Hauptaufgaben der Menschen im 21. Jahrhundert. Die Erkenntnisse der Wissenschaft und die Veränderungen des Klimas geben ihm Recht. Dennoch passiert verhältnismäßig wenig, obwohl es letztendlich um die Existenz der menschlichen Spezis geht. Wie ist ihr Standpunkt dazu, dass sich angesichts eines derart dringenden Themas noch immer in politischen und wirtschaftlichen Grabenkämpfen ergeben wird?
Prof. Liebig: Wir dürfen nicht unterstellen, dass die Akteure, auch die Eliten in der Gesellschaft, die großen Probleme (Klima, Bevölkerung, Ernährung, Wasser, Energie, Ressourcenzugang, Freiheit) dieser Welt ständig und bei allen Entscheidungen sich vor Augen führen. Ebenso dürfen wir nicht unterstellen, dass diese Probleme wirklich verstanden wurden, geschweige denn, eine Folgenabschätzung durch verzögertes Handeln oder Tatenlosigkeit vorgenommen wird. Es wird sich – leider – wohl nicht verhindern lassen, dass noch eine Reihe von gravierenden Ereignissen eintreten müssen, damit ein genügend hoher Entscheidungsdruck entsteht. Ohne zynisch sein zu wollen – aber diese gravierenden Ereignisse müssen leider häufig hintereinander eintreten, damit ein kollektives Lernen eintritt. Auf der Basis dieser Einsicht kann die Hoffnung gedeihen, dass notwendige politische Entscheidungen durchsetzbar sind. Es sei denn, wir bekommen Herakles, Superman oder Superwoman als Bundeskanzler bzw. Bundeskanzlerin.
Wir bedanken uns bei Prof. Liebig für das Interview.
Im Rahmen der Interviewreihe “Vier Fragen an …” stellt der Milk the Sun Blog bis zur Bundestagswahl am 22.September 30 Tage lang führenden Köpfe aus Wirtschaft, Politik und Medien vier Fragen zu den Erwartungen an die Energiepolitik Deutschlands der zurückliegenden und kommenden Jahre. Bisher interviewten wir Sebastian Bolay (DIHK), Heiko Schwarzburger (Photovoltaik), Corinna Lang (CleanEnergy Project), Patrick Jüttemann (klein-windkraftanlagen.com), Christian Leers (PV-Experte), Robert Schwarz (BTO Management Consulting), Lothar Lochmaier (Freier Journalist), Michael Richter (Sonneninvest AG), Kilian Rüfer (SUSTAINMENT), Udo Schuldt (Blogger), Thorsten Zoerner (Solution Architect), Prof. Dr. Eicke Weber (Fraunhofer ISE), Falko Bozicevic (GoingPublic Magazin), Carsten Körnig (Solarwirtschaft e.V.), Denis-Mariel Kühn (EGBB), Doreen Brumme (Freie Journalistin), Erhard Renz (sonnenfluesterer.de), Sabine Eva Rädisch (Autorin und Bloggerin), Bart Markus (Wellington Partners)