„Wir müssen das Energieversorgungssystem dezentralisieren“

„Wir müssen das Energieversorgungssystem dezentralisieren“

Die Energiewende in Deutschland hat ein Problem: sie ist im Prinzip nur eine Stromwende. Punkte wie Wärme und Verkehr werden kaum beachtet, obwohl sie einen Großteil des Endenergieverbrauchs in Deutschland ausmachen. Die aktuellen Probleme der Energiewende sind das Produkt aus der Kombination von Schwäche mit Schwäche, analysiert Prof. Dipl.-Ing. Timo Leukefeld, Energiebotschafter der Bundesregierung und Experte für vernetzte energieautarke Gebäude. Wir müssen endlich Stärken mit Stärken kombinieren, das Energieversorgungssystem dezentralisieren und Wärme politisch sexy machen.

 

Milk the Sun: Herr Prof. Leukefeld, wie bewerten Sie den aktuellen Entwicklungsstand der Erneuerbaren Energien vor dem Hintergrund des neuen EEG, der verfehlten Zubauziele im Photovoltaik-Sektor und der anhaltenden Diskussionen über notwendige Stromtrassen in Deutschland?

Prof. Leukefeld: Wir hinken dem EU Durchschnitt hinterher. Warum? Der Endenergieverbrauch in Deutschland teilt sich in etwa auf in ein Viertel Strom, ein Viertel Verkehr und die Hälfte Wärme. Sprachlich präzise müsste die Energiewende eigentlich als Stromwende bezeichnet werden. Wir haben im Bereich erneuerbarem Strom viel getan und die Zwischenziele bereits übererreicht. Im Bereich Verkehr ist fast nichts passiert und im Löwenanteil des Energieverbrauchs, der Wärme, ist kaum etwas passiert mit jahrelanger Stagnation. Wir liegen in den beiden Bereichen hinter den Zielen der Bundesregierung zurück. Deswegen hinken wir beim Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch europaweit gesehen hinterher. Da haben wir noch nicht einmal den EU Durchschnitt mit 15% erreicht! Das kann sich nur ändern, wenn nun endlich auch der Bereich erneuerbare Wärme und Mobilität massiv ausgebaut wird. Sind die Ressourcen begrenzt, muss beim Strom etwas gebremst und bei der Wärme und im Verkehr Gas gegeben werden. Die Photovoltaik jetzt schnell wieder auf das Niveau von vor drei Jahren hochzuziehen und die Stromtrassen auszubauen, hat für mich nicht die höchste Priorität. Da kann man im Bereich Wärme und Verkehr mit dem eingesetzten Euro wesentlich mehr erreichen.

 

Milk the Sun: Laut „Deutschem Energiekompass“ sinkt die Akzeptanz der Bürger gegenüber der Energiewende immer weiter. Wie erklären Sie sich diesen Trend nach den Jahren des Solarbooms / des Aufschwungs regenerativer Energien?

Prof. Leukefeld: Der Solarboom kam nur durch die hohe Einspeisevergütung, die für 20 Jahre garantiert wird. Investiert wurde hauptsächlich aufgrund der sehr hohen zu erwartenden Renditen, weniger aufgrund von Umweltbewusstsein. Sind die Renditen zu hoch, dann schlägt die Motivation schnell in Gier um. Es ging größtenteils nur noch ums Geldverdienen. Das ist kein alleiniger und nachhaltiger Ansatz gewesen und musste zur Krise führen. Da wurden auch Solarstrom-Megawatt-Projekte in Mecklenburg Vorpommern gebaut, wo weit und breit kein Stromabnehmer ist, aber für 20 Jahre garantierte Einspeisevergütung gezahlt. Solarstrom irgendwo zu produzieren, egal, ob er gebraucht wird oder nicht, halte ich ohne Speichermöglichkeiten energiewirtschaftlich bedenklich. Diese partielle Entwicklung der Photovoltaik hat den erneuerbaren Energien zum Teil ein negatives Image verpasst. Das EEG musste also angepasst werden. Da mit der Absenkung der EEG Vergütung die Rendite sehr stark gesunken ist, sind immer weniger Menschen bereit, nur aus Umweltbewusstsein heraus zu investieren. Und die Photovoltaikbranche hat zu spät umgeschaltet vom leichten Verkaufen einer „steuerpflichtigen Einnahme“ hin zur Eigennutzung von Solarstrom und dem schwerer erscheinenden Verkaufen einer „steuerfreien Einsparung“. Das war vielen Verkäufern zu anstrengend und sie sind ausgestiegen. Aus meiner Sicht ist das aber die viel spannendere Anwendung für die Photovoltaik auf einem Weg zur Unabhängigkeit, zu einer neuen Altersvorsorge und zur Netzentlastung.

Der zum Teil unkontrollierte Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung hat neben verschiedenen anderen Ursachen auch zum Anstieg der Strompreise geführt. Allein 2013 gab es bundesweit etwa 340.000 Stromabschaltungen. Diese abgeschalteten Haushalte konnten oder wollten Ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen. Auch das hat zu Unmut und zum Akzeptanzverlust bzgl. der Energiewende in der Bevölkerung geführt. Hier ist ein generelles Umdenken in der Fortsetzung der Energiewende erforderlich. Ja, ich würde sagen wir müssen von der Energiewende zu einem energetischen Wandel kommen.

 

Milk the Sun: Die dezentrale Energiewende wird eine immer stärkere Säule im Konstrukt der Energiewende. Welche Entwicklung(en) und Trends sehen Sie für Erneuerbare Energien in diesem Zusammenhang? Und wie schätzen Sie die Relevanz von Energiespeichern und dem Zusammenspiel verschiedener Formen Erneuerbarer Energien in diesem Kontext ein?

Prof. Leukefeld: Wir haben in der Energiewende bisher Schwächen mit Schwächen kombiniert und wundern uns über die entstandenen Probleme… Wir belassen das zentrale Energieversorgungssystem weitestgehend und versuchen „von der Seite“ sehr viel fluktuierende erneuerbare Energie (hauptsächlich Strom) in das System „hineinzustopfen“. Bis ein 20-prozentig Anteil fluktuierender erneuerbarer Energie im Netz ist, ist das alles kein Problem. Das verträgt das alte zentrale System. Bei 20-40% gehen die ersten technischen und wirtschaftlichen Probleme los, es kommt zur Macht- und Geldumverteilung. Das erleben wir aktuell hautnah. Bei einem wesentlich höheren Anteil an fluktuierender erneuerbarer Energie im Netz eines alten zentralen Systems steigt das Risiko eines Kollapses immer mehr an. Wenn wir also das zentrale Energieversorgungssystem weiter belassen und immer nur einfach immer mehr fluktuierende Energie einspeisen, optimieren wir das Falsche mit hoher Effizienz. Dadurch wird es nur noch falscher… Ich beschreibe damit einen systematischen Fehler der Energiewende.

 

„Strom muss in Zukunft dort produziert werden, wo die Industrie ist und dort, wo die Menschen leben und Energie benötigen.“

 

Milk the Sun: Wie können wir den Fehler beheben?

Prof. Leukefeld: Indem wir endlich Stärken mit Stärken kombinieren. Was heißt das? Wir müssen auf dem Weg zu einer hochgradig mit erneuerbarer Energie versorgten Gesellschaft in einem energetischen Wandel das Energieversorgungssystem dezentralisieren. Das wäre eine Stärke. Strom muss in Zukunft dort produziert werden, wo die Industrie ist (das klappt jetzt schon) und dort wo die Menschen leben und Energie benötigen. Dann kann die gesamte Abwärme in den Gebäuden über Nah- und Fernwärmenetze genutzt werden. Damit würden wir einen gewaltigen Effizienzsprung machen und den Einsatz von fossilen Energien drastisch reduzieren und fokussieren auf den Einsatz als Regelenergie. Diese Umstellung von einer zentralen auf eine dezentrale Energieversorgung ist eine gigantische Aufgabe, viel schwerer als etwas Solarstrom ins Netz einzuspeisen…. Dabei gibt es vier große Verlierer und Millionen Gewinner. Diese neu gewonnene Stärke eines miteinander vernetzten dezentralen Energieversorgungssystems ist eine Stärke, die unser System viel unabhängiger und störunanfälliger macht. Es macht gigantischen Netzausbau überflüssig und ermöglicht erstmals die Einkopplung erneuerbarer Energien jenseits der 50% Grenzlinie. Für diesen Wandel kommt ein differenzierter Zusammenschluss aus regionalen Energieversorgern, Stadtwerken und Bürgern in Frage. Diese neu gewonnen Stärke muss mit einer zweiten Stärke kombiniert werden: Den Energiespeichern. Hier meine ich in erster Linie Wärmespeicher. Wird dezentral Strom und Regelenergie zum Beispiel mit Blockheizkraftwerken produziert, muss die Abwärme in Wärmespeichern zwischengespeichert werden, damit diese dann zeitversetzt über Wärmenetze zu den umliegenden Gebäuden, Quartieren und Städten gebracht werden können. Dort könnte auch die Industrie Abwärme einlagern. Außerdem könnten wir fluktuierende erneuerbare Energieüberschüsse aus Wind und Sonne über eine Heizpatrone im Wärmespeicher fast verlustfrei zu Wärme machen und sinnvoll nutzen, anstatt diesen Strom mit negativen Strompreis ins Ausland zu verschenken.

Wärmespeicher sind schnell und viel kostengünstiger verfügbar als Stromspeicher. Aktuell um einen Faktor von 100 preiswerter. Lassen Sie mich das an einem Beispiel eines neu gebauten Einfamilienhauses mit 10.000 kWh Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser und 3.000 kWh Strombedarf für den Haushalt erläutern. Wenn Sie dort einen Lithium-Ionen Akku für eine Photovoltaikanlage einsetzen wollen, müssen Sie etwa 2.000 Euro brutto pro Kilowattstunde Kapazität fertig installiert investieren. Damit können Sie dann bei üblicher Auslegung den Solarstrom von Mittag bis in die Nacht hinein also einen halben Tag speichern. Setzen Sie einen Langzeitwärmespeicher ein, so liegen die Investitionskosten schüsselfertig bei etwa 20 Euro brutto pro Kilowattstunde und Sie können darin zum Beispiel die Wärme aus einer Solarthermie-Anlage bis zu mehreren Wochen speichern.

Was genießt hingegen die politische Aufmerksamkeit? Die Stromspeicher….. Wärme ist politisch nicht sexy, das muss und wird sich ändern.

 

Milk the Sun: Klären Sie uns auf…

Prof. Leukefeld: Hier wird das Problem deutlich. Der Löwenanteil im Gebäudeenergieverbrauch ist die Wärme und nicht der Strom. Deswegen wäre es regenerativ denkend sehr förderlich für den Wärmebedarf, Solarthermie mit Langzeitwärmespeicherung zu nutzen und für den Haushaltsstrom Photovoltaik und Akkus. Das führt zu sehr hohen solaren Deckungsraten und zu hoher Unabhängigkeit.

Der Weg zur solaren hochgradigen Eigenstromversorgung führt – allem Rummel in den Medien zum Trotz – nicht über die Photovoltaik ANSTELLE von irgendetwas, sondern über die Solarthermie, die man um Photovoltaik ergänzt.

Wenn wir weiter das Heizen mit Strom (Luftwärmepumpen) forcieren und den Hausbesitzern suggerieren, man könnte diese einfach so im Winter mit Solarstrom betreiben, erliegen wir dem Phänomen der saisonalen Illusion. Die Photovoltaikanlage erzeugt 80% ihres Ertrages im Sommerhalbjahr, die Wärmepumpe braucht 80 % ihres Stromes im Winterhalbjahr. Damit verlagern wir (wieder einmal) die Probleme ins öffentliche Stromnetz in der Hoffnung, „irgendjemand“ wird sich schon darum kümmern. Die Zeche zahlt dann wieder der Bürger.

 

Zuletzt bitten wir Sie um einen Ausblick in die Zukunft. Wie weit sehen Sie die Verbreitung von energieautarken Häusern in zehn Jahren? Und welche Maßnahmen sind erforderlich, um Bürgern aufzuzeigen, mit so einem intelligenten Konzept die Energiewende noch ein Stück weiter selbst in die Hand nehmen zu können?

Prof. Leukefeld: Die Basis von energieautarken Gebäuden ist das Sonnenhaus Konzept vom Sonnenhaus Institut e.V. (siehe www.sonnehaus-institut.de) Es ist sehr gut gedämmt, nutzt Solarthermie mit Langzeitwärmespeicherung und hat mindestens 50% solare Deckung am Energieverbrauch für Heizung und Warmwasser. Es ist mit unter 15 kWh/m² Primärenergiebedarf das sparsamste Gebäudekonzept in Europa. Die Bundesregierung fördert das innovative Sonnenhauskonzept seit kurzem, was eine ganz neue Wertschätzung dieser Entwicklung darstellt. In ein teilweise oder ganz energieautarkes Sonnenhaus wird nun zusätzlich noch Photovoltaik und ein Akku integriert. Damit ist man unabhängig und reduziert seine Ausgaben. Die Folge ist eine Steigerung der Kaufkraft vor allem im Alter.

Banken haben das Sonnenhaus als neues Altersvorsorgekonzept erkannt und bewerben es zunehmend als neues Geschäftsmodell: Investieren in steuerfreie Einsparungen ergänzend zu Investitionen in zu versteuernde Einnahmen. Mit Energieversorgern haben wir auch ein neues Geschäftsmodell entwickelt. Im Vergleich zum Passivhaus und zum Effizienzhaus Plus ist das Sonnenhaus das einzige Hauskonzept, was über nennenswerte größere Speicherkapazitäten im Wärme und Strombereich verfügt. Etwa 2.000 Sonnenhäuser gibt es bereits in ganz Deutschland. Die Energiespeicher stellen wir beispielsweise in dem energieautarken Haus in Freiberg den Energieversorgern zur Verfügung. Im 9 m³ Langzeitwärmespeicher lagert das EVU im Winter regenerativen „Abfallstrom“ aus Windkraftanlagen via Heizpatrone ein. Dieser Strom soll mir als Hausbewohner zukünftig preiswerter verkauft werden, als mein Holz, was ich im Winter zur Nachheizung nehme, wenn die Sonne nicht reicht. In den großen 58 kWh Stromakku kann das EVU zu Überflusszeiten preiswerten Strom „einlagern“ und zu Mangelzeiten Strom „entnehmen“ und teuer verkaufen. Das führt zur Netzstabilisierung und zu neuen Geschäftsmodellen ohne staatliche Subventionen. Wenn Sonnenhäuser ihre großen Energiespeicher intelligent vom EVU bewirtschaften lassen, nutzt das der Allgemeinheit.

 

„Nur der Langzeitwärmespeicher kann Angebot und Nachfrage bei der Heizung näher zusammenbringen.“

 

Das alles im Kontext betrachtet, wird der Idee von vernetzten energieautarken Gebäuden einen großen Vorschub geben. Ich rechne in zehn Jahren mit hunderten solcher Gebäude. Die Nachfrage ist jetzt bereist sehr stark gestiegen. Wir projektieren gerade mehrere energieautarke Mehrfamilienhäuser für die Wohnungswirtschaft, die dann eine Bruttomiete für 10 Jahre fest ansetzen, in der das Wohnen, der Strom, die Wärme und Elektromobilität als Flachrate schon enthalten ist. Außerdem ein energieautarkes Hotel und ein Gewerbeobjekt. Dabei ist nicht raus, welche Technologie in Zukunft das Rennen macht: Solarthermie, Photovoltaik mit Akku, Pelletofen mit Stirlingmotor oder Mikro BHKWs. Wir wissen es nicht. Was aber feststeht, ist der Langzeitwärmespeicher. Nur der kann Angebot und Nachfrage bei der Heizung näher zusammenbringen. Er wird also ein integraler Bestandteil der Häuser der Zukunft sein. Hätte ich bei der EnEV etwas zu sagen, dann würde ich jedem Neubau einen sehr gut gedämmten Langzeitwärmespeicher vorschreiben. Da macht man nichts falsch, egal mit welcher regenerativen Technik dieser zukünftig „betankt“ wird. Da sollte auch gleich ein E-Heizstab integriert sein, der zukünftig vom EVU mit Überschussstrom betrieben werden kann.

Bei den Handlungsempfehlungen stehen bei mir die beschriebenen Kooperationen mit Banken und Energieversorgern ganz oben.

Zum Abschluss lässt sich sagen: Der energetische Wandel ist gut zu schaffen, sobald wir die (Langzeit)Speicherung von Wärme als Schlüsseltechnologie begreifen. So gelingt der Umgang mit fluktuierenden erneuerbaren Energieangeboten, alles andere strapaziert das Stromnetz. Das Konzept ist viel günstiger als die „saisonale Illusion“, wir kämen allein mit Stromspeicherung durch den Winter. Den Beweis liefern Sonnenhäuser, die schon jetzt den EU-Standard von 2020 verwirklichen.

Herr Prof. Leukefeld, wir danken Ihnen für das ausführliche Interview.

 

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Im Rahmen der Fortsetzung der Interviewreihe „Vier Fragen an …“ stellt der Milk the Sun-Blog führenden Köpfen aus Wirtschaft, Politik und Medien vier Fragen zu den Erwartungen an die nationale und internationale Energiepolitik, die Energiewende und  die Reform des EEGs.

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