Rainer Brohm im Interview: „Die momentan viel diskutierten Mengenmodelle sind am Ende im Vergleich zum EEG Planwirtschaft pur.“

Rainer Brohm ist Leiter des Bereiches „Politik und Internationales“ beim Bundesverband Solarwirtschaft e.V. (BSW-Solar). Derzeit arbeitet er unter anderem verstärkt am Thema „Entwicklung politischer Rahmenbedingungen für neue Geschäftsmodelle der Photovoltaik (EEG 2.0)“. Milk the Sun sprach mit ihm über Herausforderungen und Ansprüche in Bezug auf ein neues Einspeisevergütungsgesetz.

Rainer Brohm arbeitet als Leiter des BSW-Solar am Thema „Entwicklung politischer Rahmenbedingungen für neue Geschäftsmodelle der Photovoltaik (EEG 2.0)“

Milk the Sun: Sehr geehrter Herr Brohm, derzeit muss das aktuelle Erneuerbare-Energien-Gesetz Kritik von fast allen Seiten einstecken. Zu Recht?

Brohm: Das EEG ist ein bewährtes Instrument, sonst wäre es weltweit nicht ein so großer Exportschlager geworden. Immer mehr Länder kopieren die „Blaupause“ aus Deutschland, weil sie wissen, dass sie mit einem Einspeisetarifsystem ein äußerst kosteneffizientes Förderinstrument nutzen können. Bislang hat noch kein Gegenmodell, seien es Ausschreibungsmodelle, Quotensysteme oder Grünstromzertifikate in der praktischen Umsetzung den Beweis antreten können, effektiver hinsichtlich der Wirkung auf den Erneuerbaren-Ausbau oder kosteneffizienter als ein EEG mit Einspeisetarif zu sein. Die politische Debatte in Deutschland hat sich derzeit leider ein Stück weit von diesen Fakten losgelöst. Es wird fast krampfhaft nach einer „marktwirtschaftlichen“ Lösung gesucht. Die Erneuerbaren sollen also „endlich“ in den Markt integriert werden. Das verkennt natürlich vollkommen, dass wir erst einmal diesen Markt, der gar nicht für große Anteile Wind- und Solarenergie geschaffen wurde, grundsätzlich reformieren müssen. Wir müssen also ein passendes Energiemarktdesign für die Erneuerbaren finden statt sie in ein nicht zukunftsfähiges Marktkorsett hineinzuzwängen.

Und ganz nebenbei, die momentan viel diskutierten Mengenmodelle – also der Ansatz z.B. über Ausschreibungen regional und spartenspezifisch festgelegte Ausbaumengen vorzugeben – sind am Ende im Vergleich zum EEG Planwirtschaft pur. In dieser Debatte drängt sich der Eindruck auf, dass hier ein Weg gefunden werden soll, den Ausbau auszubremsen und zu deckeln und nicht ihn zu befördern. Angesichts der klima- und energiepolitischen Notwendigkeiten und der eigentlichen Ziele der Energiewende erscheint das absurd.

Kritikwürdig ist das EEG aber durchaus an einigen Stellen: Die Lastenteilung bei den EEG-Kosten muss wieder auf eine faire Basis gestellt werden. D.h. konkret, die inzwischen ausgeuferte Umlage-Befreiung für die Industrie wieder auf ein sachgerechtes und gesundes Maß zurück zu fahren. Darüber hinaus müssen der EEG-Berechnungs- und der Ausgleichsmechanismus angepasst werden. Momentan profitieren einige Wenige vom Merit-Order-Effekt der Wind- und Solarstromeinspeisung, beim Privatkunden kommt von diesen Vorteilen der Erneuerbaren hingegen nichts an. Diese Profite müssen im Markt ausgeglichen und angemessen eingepreist werden. Außerdem würden sich viele Vorteile ergeben, wenn der EEG-Strom wieder stärker von den dezentralen Stromvertrieben und Grünstromvermarktern direkt in den Markt integriert würden – hier könnte man dann tatsächlich von Marktintegration sprechen – und nicht mehr nur ausschließlich über die Börse abverkauft würde, was allenfalls eine Handelsintegration aber keine echte Marktintegration darstellt.

Und selbstverständlich muss man immer auch über die Effizienz und Angemessenheit der Einspeisetarife sprechen. Das gehört zur Grundidee des EEG. Für die Photovoltaik muss man hier allerdings feststellen, dass die Schraube schon über die Schmerzgrenze hinaus gedreht wurde. Wir sehen ja am Markt die Probleme insbesondere bei den mittleren und großen Anlagen, die teilweise noch über den Eigenverbrauch die hohen monatlichen Degressionen kompensieren können, aber insbesondere dort wo kein ausreichender Eigenverbrauch möglich ist, in große Schwierigkeiten kommen.

Milk the Sun: Einer der zentralen Punkte, warum das bisherige EEG so erfolgreich den Bau von Erneuerbaren Energien antrieb, ist der Einspeisevorrang. Muss er erhalten bleiben?

Brohm: In jedem Fall! Der Einspeisevorrang ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir in dieser sensiblen Übergangsphase vom EEG-Einspeisetarif in eine zunehmende Unabhängigkeit vom EEG-Tarif nicht ins Trudeln kommen oder gar einen Fadenriss riskieren. Solange der Eigenverbrauch und neue Geschäftsmodelle für die Photovoltaik noch nicht alleine tragen und die Refinanzierbarkeit von Anlageninvestitionen ausreichend gesichert ist, müssen wir am Einspeisevorrang und der garantierten Einspeisevergütung festhalten.

Milk the Sun: Neue Geschäftsmodelle der Photovoltaik – an welche Geschäftsmodelle dachten Sie bei der Auswahl dieses Themas?

Brohm: Hier geht es zunächst um verschiedene Modelle des erweiterten Eigenverbrauchs und der Direktvermarktung, vor allem also die Versorgung Dritter mit Solarstrom in mehr oder weniger großer räumlicher Nähe. Solche Nahstrom- oder lokalen Direktvermarktungskonzepte wollen wir fördern bzw. die Rahmenbedingungen hierfür schaffen. Das beginnt schon mit der Solarstromversorgung von Mietern in Mehrfamilienhäusern und im Geschosswohnungsbau. Hier besteht Bedarf für rechtliche Klarstellungen und Anpassungen, damit sich standardisierte Geschäftsmodelle entwickeln können. Das betrifft weiterhin Stromliefermodelle im privaten und gewerblichen Bereich und hier dann nicht nur Dachanlagen sondern auch den Freiflächenbereich. Hier gibt es Probleme beim Übergang von der bisher im EEG vorgesehenen Versorgung Dritter im Rahmen des sogenannten „solaren Grünstromprivilegs“ hin zur Belieferung von Verbrauchern über das öffentliche Netz. Hier sind solche Konzepte mit zahlreichen Hürden in Form von Energieversorgerpflichten sowie entsprechenden Steuern und Abgaben konfrontiert, die letztlich die Rentabilität durch direkte oder administrative Kosten belasten. Der BSW-Solar bietet übrigens ganz aktuell einen Leitfaden zur Stromlieferung mit einem Musterstromliefervertrag und weiteren Hilfestellungen an, er kann über eine BSW-Internetseite bezogen werden.

Zweitens geht es beim Thema neue Geschäftsmodelle auch darum, die konkreten Vorteile und Systemdienstleistungen, die PV-Anlagen ggf. auch in Kombination mit Batteriespeichern bereit stellen können, in vermarktbare Produkte zu übersetzen. So können PV-Anlagen mit der Intelligenz der Wechselrichter und moderner Steuerungselektronik heute u.a. Regelenergie und technische Systemdienstleistungen wie aktive Blindleistungsbereitstellung, Spannungshaltung etc. anbieten. Das sind wertvolle Leistungen, die im Netz einen großen Nutzen haben. Die bestehenden Märkte z.B. im Falle der Regelenergie, sind aber bisher gar nicht zugänglich für die Photovoltaik. Andere Märkte, wie die für Systemdienstleistungen bestehen noch gar nicht. Der BSW-Solar koordiniert übrigens gerade ein EU-weites Projekt zur Identifizierung solcher technischer Lösungen zur verbesserten Systemintegration der Photovoltaik – PV GRID. Hier zeigt sich, dass viele Netzbetreiber sehr interessiert sind, solche Funktionen und Systemdienstleistungen zu nutzen.

Und drittens geht es auch um die Anpassung oder Weiterentwicklung der bestehenden Marktmechanismen im EEG. Die vieldiskutierte Marktprämie wird auch von PV-Anlagenbetreibern immer stärker genutzt – rund 3,5 GW PV-Leistung partizipieren hier bereits. Das Modell hat aber viele Schwächen und scheint nicht geeignet für die „Marktintegration“ der Photovoltaik. Auch hier stehen wir im Dialog mit den Direktvermarktern und versuchen bessere Konzepte zu finden.

Insgesamt haben wir uns das Ziel gesetzt, Vorschläge für die Beförderung von neuen Geschäftsmodellen für die Photovoltaik und die Erneuerbaren insgesamt rechtzeitig für die nächste Novelle des EEG und weiterer energiepolitischer Rahmenbedingungen in der nächsten Legislaturperiode vorzulegen.

Milk the Sun: Von Seiten der Unterstützer der Erneuerbaren Energien ist immer wieder zu hören, dass die Förderungen der Erneuerbaren stetig angegriffen werden, während nicht über spezielle Umlagen gezahlten Subventionen für konventionelle Energieträger kaum Beachtung geschenkt wird. Besteht das Problem tatsächlich? Wie lässt sich diesem Problem gegenübertreten?

Brohm: Natürlich wird sehr gerne mit dem mahnenden Finger auf die „teure Subvention“ EEG und weiteren Förderungen für die Erneuerbaren gezeigt. Dabei wird  einerseits der Nutzen der Erneuerbaren ausgeblendet – schon ist der Nutzen der Erneuerbaren größer als die Kosten der Förderung, würde man einfach mal die gesamten gesellschaftlichen Kosten von Kohle, Gas und Atom in die Rechnung einbeziehen. Vernachlässigt wird dabei auch die Frage, was die Alternativen denn sein sollen? Weiter machen wie bisher – mit weiter horrend steigenden Energiekosten? Weiter auf die Verbrennung fossiler Energieträger setzen und die Klimaziele vollends abschreiben?  Letztlich steht hinter dieser Kostendebatte doch auch ein Verteilungskampf in der Energiewirtschaft. Diejenigen dich noch nicht oder erst jetzt merken, dass den Erneuerbaren die Zukunft gehört und noch keinen Weg gefunden haben, an dieser Entwicklung teilzuhaben und auch zu profitieren, wollen den Ausbau bremsen. Es gibt auch noch immer einige, die glauben das Rad wieder zurück drehen zu können. So wird dann immer wieder die Kostenangst geschürt, bis hin zum Bundesumweltminister, der Billionenbeträge in den Raum stellt und damit dem Bürger die Lust nimmt, sich weiter wie bisher beim Thema Energiewende zu engagieren. Ich bin sicher, dass dies nicht gelingen wird – dafür ist Energiewende schon zu fest auch als Bürgerbewegung verankert – aber es ist schon sehr verstörend. Grundsätzlich streitet niemand ab, dass der Umstieg auf Erneuerbare Energien so kosteneffizient und sozial verträglich wie möglich gestaltet werden muss und auch der Industriestandort Deutschland weiter im internationalen Wettbewerb bestehen muss. Aber die hohen Ansprüche werden eben gerne nur bei den Erneuerbaren gestellt und oft auch mal der Teufel an die Wand gemalt wo man eigentlich besser sachlich über gute Lösungen diskutieren sollte.

Milk the Sun: Welche Punkte umfasst ihre aktuelle Arbeit noch? Welche Probleme stellen sich Ihnen, was erfordert sehr spezielle Lösungen?

Brohm: Wichtig ist es, die Solarenergie mit ihren spezifischen Eigenschaften und Vorteilen – vor allem die Dezentralität und Verbrauchsnähe und damit verbunden viele Möglichkeiten einen Netz- und Systemnutzen zu liefern – noch stärker im Gesamtkontext der Energieversorgung zu diskutieren. Es gilt aufzuzeigen, dass wir zusammen mit der Windenergie den eigentlichen Kern und das „Leitsystem“ für die Energieversorgung der Zukunft stellen werden. Aktuelle Studien wie die 100%-Studie des Fraunhofer-ISE in Freiburg zeigen doch, dass die Photovoltaik zukünftig einen gewaltigen Beitrag auch über den Strombereich hinaus leisten wird. In diesem Modell, dass ich immer wieder gerne zitiere, leistet die Photovoltaik in den verschiedenen Szenarien einen Leistungsbeitrag von 180 bis 240 GW für Strom, Wärme und Mobilität in Deutschland. Und die positive Grundbotschaft ist: Das System wird nicht teurer sein, als das heutige. Für den Weg dorthin und auch für die damit verbundenen gesellschaftlichen Anschubkosten müssen wir eben heute Mut aufbringen und das große Engagement der vielen Tausend Bürgerinnen und Bürger nutzen und weiter unterstützen.

 

Wir danken Herr Brohm für das Gespräch.

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