Meinung zur Bundestagswahl: Wenn der Sturm vorüber ist …

Die Bundestagswahlen 2013 lassen ein zerrüttetes Bild zurück. Eine Union die gewonnen hat und für die es dann doch nicht zu einem wirklichen Triumph reicht. Eine SPD die eigentlich will, aber weiß, dass sie nicht sollte. Grüne, die sich selbst enthaupten. Eine LINKE die strahlt und drittstärkste Fraktion ist und eine FDP, die keinen mehr wirklich interessiert. Es stehen schwere Koalitionsverhandlungen bevor, wie das Beispiel der Energiepolitik beweist.

Die Bundestagswahl 2013 ging mit teilweise faden Ergebnissen insbesonder für einige der kleineren Parteien zu Ende.

Am Sonntag wurde gewählt in Deutschland und dieses Mal gab es gleich mehrere beeindruckende Ergebnisse in diesem Zusammenhang. Die CDU/CSU könnte quasi in Form einer Minderheitsregierung alleine regieren, es wäre das erste Mal in ihrer Parteigeschichte und das erste Mal in der bundesdeutschen Geschichte. Auch die FDP feiert eine Premiere, sie ist zum ersten Mal seit 1949 nicht im Bundestag vertreten. Die Grünen fallen auf ein Niveau wie zur Mitte der 2000er, die LINKE wird zur drittstärksten Fraktion im Bundestag und die europakritische AfD schrammt bei ihrer ersten Bundestagswahl knapp an der fünf Prozenthürde vorbei. Derweil ist die SPD zwar nicht schwächer geworden, bleibt allerdings von ihrer alten Form weit entfernt.

Gerade für den politisch konservativ-mittigen Flügel der deutschen Parteienlandschaft dürfte der Triumph der Union hinter ihrer Gallionsfigur Angela Merkel eigentlich ein Grund zur Freude sein. Insbesondere, da er von dem Wahlerfolg in Hessen flankiert wird. Doch so wirklich einstellen will sich der langanhaltende Freudentaumel nicht. Nachdem sich der „An Tage wie diesen“-grölende Gefechtsnebel der Wahlnacht bei der Mehrheit der Unions-Parlamentarier und -Mitarbeiter verzogen hat, wird die Prophetenhaftigkeit der Ankündigung bewusst, welche von der alten und neuen Kanzlerin noch im Moment des Sieges gemacht wurden: Am Sonntag wurde gefeiert, aber am Montag schon begann das Kopfzerbrechen.

Merkel will keine Minderheitsregierung, das machte sie deutlich, aber auch eine Koalition mit SPD oder gar den Grünen würde schwierig. Dass DIE LINKE aus Sicht der CDU ausscheidet, versteht sich fast von selbst. Weder die Sozialdemokraten noch die Grünen würden sich mit kleinen Ministerposten abspeisen lassen, noch würden sie sich den Anspruch nehmen lassen, inhaltliche Forderungen an die Union zu stellen. Also ist es aus Sicht der Kanzlerin eher eine Wahl zwischen Pest und Cholera, die Peer Steinbrück in der Elefantenrunde am Sonntagabend noch als Fußballmetapher tarnte.

Die Oppositionsparteien befinden sich dagegen fast in einer vorteilhaften Position. Sie müssen nur reagieren, ja, haben die Union sogar beinahe in der Hand. Sollte die Kanzlerin keine der anderen Fraktionen von einer Koalition überzeugen können und damit in eine Minderheitsregierung gezwungen werden, könnte sich ihre Regierung, wenn sich der Mitte-Links-Block gemeinschaftlich quer stellt, einer äußerst problematischen Blockadepolitik gegenüber sehen. Was zur Folge hätte, dass die Union, anders als bisher, viel deutlicher auf die Forderungen der Opposition eingehen müsste, um Deutschland überhaupt weiterhin regieren zu können.

Dass keine der Parteien wirklich brennendes Interesse daran hat, mit der Union zu koalieren, ist nicht weiter verwunderlich. Aus den letzten beiden Koalitionen gingen die jeweiligen Partner der Merkel-Regierung äußerst geschwächt hervor. Die SPD verlor viele ihrer Befürworter und hat sich bisher noch nicht davon erholt. Dem letzten Koalitionspartner der Union ging es bekanntlich noch schlechter. Die FDP wird für die nächsten Jahre in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken. Ihre Rückkehr ist noch nicht einmal ungewiss.

Das Endergebnis der Bundestagswahl 2013 (C), 2013 by Proteus Solutions GbR, Daten: ARD

Das kann natürlich Zufall, oder auf die politische Vorgehensweise Merkels zurückzuführen sein. Es ist jedoch vorstellbar, dass die CDU kollabieren wird, sobald Angela Merkel aus ihrer Führungsposition ausscheidet. Zum einen, existiert derzeit in der zweiten Reihe kein annährend vergleichsweise populärer Nachfolger, für dessen Aufbau der Union allerdings noch Zeit blieb. Zum anderen, und dies wiegt schwerer, ist der Grund für den potentiellen Kollaps der Post-Merkel Union, der politischen Prägung der Kanzlerin unter Altkanzler Kohl zuzuschreiben. Auch um ihn gab es einen Personenkult, auch nach seinem Ausscheiden verlor die CDU die Wahl und einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit. Nun war der Personenkult um Helmut Kohl zwar vorhanden, doch war er nie derart stark, wie jener um Angie. Immerhin werden in der britischen Presse bereits Vergleiche mit Margaret Thatcher herangezogen.

Einmal unabhängig von der Frage, ob die Kanzlerin ein schlechter politischer Glücksbringer ist, haben die anderen Bundestagsfraktionen, abgesehen von der LINKEn, eh andere Sorgen. Bündnis‘90/Die Grünen lösen derzeit als Resultat ihrer kleinen Wahlschlappe ihre Parteiführung auf und die SPD hat den Kampf mit sich selbst noch nicht wirklich verwunden. In jedem Fall ist die Skepsis der SPD verständlich, bedenkt man, wie sehr sie unter dem letzten Regierungszusammentreffen mit Merkel gelitten hat, oder wie sehr in der Großen Koalition die parteieigenen Problem zum Tragen kamen. Dabei sind die Sozialdemokraten zwar nicht Merkels erste Wahl, das wäre aus naheliegenden Gründen natürlich die FDP gewesen, aber immerhin für die meisten in der Union das kleinere Übel. Doch alleine durch ihre Größe und ihre politische Vorerfahrung – gebranntes Kind scheut das Feuer – ließe sich die SPD schwieriger kontrollieren als die FDP.

Die Energiepläne einer möglichen Koalition

Rein rechnerisch zeichnete sich bereits am Wahlsonntag ab, dass auch eine rot-rot-grüne Koalition möglich wäre, oder sogar eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Duldung der LINKEn. Doch da Peer Steinbrück diese Möglichkeiten resolut ausschloss, ist jeder weiter Gedanke, der darauf verwandt wird, verschwendet.

Nach Bundestagswahl 2013 gibt es nach dem ausscheiden der FDP mit CDU/CSU, SPD, DIE LINKE, und Bündnis'90/Die Grünen nur noch vier Fraktionen im Bundestag. (C) 2013 by Proteus Solutions GbR, Daten: BWL

In den Koalitionsverhandlungen zwischen Schwarz-Rot und Schwarz-Grün käme es sicherlich an vielen Enden zu Verwerfungen. Autobahnmaut (diese Frage rüttelt sogar parteiintern an der Union), Elterngeld, Adoptionsrecht für schwule Paare, Reichensteuer, Mindestlohndebatte, Energiepolitik und Energiewende … Die Liste der Stolpersteine könnte lange fortgesetzt werden.

Alleine schon die Fragen in der Energiepolitik werfen tiefgreifende Unterschiede auf: Laut Wahlprogramm der SPD soll bis 2020 die Fernwärme signifikant ausgebaut werden und bis 2030 sollen bereits 75% des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Außerdem will die SPD dass die Energiewende durch ein zentrales Energieministerium organisiert und das EEG reformiert wird. Zudem forderte die SPD die Zusammenführung der Übertragungsnetze in einer Deutschen-Netzgesellschaft, um so den Netzausbau koordinierter voranzutreiben. Das meint de facto, eine Stärkung der öffentlichen Hand und damit auch der Bürger in Energiefragen.

Bündnis‘90/Die Grünen gehen tatsächlich noch einen Schritt weiter in ihren energiepolitischen Forderungen. Sie forderte laut Wahlprogramm einen hundertprozentigen Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2030. Im Fokus stehen dabei der Ausbau der Photovoltaik– und die Windenergie. Bis 2020 soll sich der Anteil der Erneuerbaren schon verdoppelt haben und anders als der eigentliche Wunschkoalitionspartner stehen die Grünen auch der Kohle sehr skeptisch gegenüber. Die SPD hat naturgemäß eine engere Bindung an die Kohleindustrie, nicht zuletzt, da die ehemalige Arbeiterpartei viele ihrer Genossen aus den Reihen der Kumpel zieht. Davon einmal abgesehen, wollen die Grünen, ebenso wie die SPD die Energiewende eher in der Hand der Bürger bzw. der öffentlichen Hand sehen. Auch der Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien soll erhalten und die Privilegien der Industrie beschnitten werden.

Die Überschneidungen zwischen SPD und Grünen in den Fragen der Energiepolitik sind kaum verkennbar. Die Gemeinsamkeiten zur Union sind da schon schwerer auszumachen. Energiepolitisch plant die alte und neue Regierungspartei ihren Kurs im Wesentlichen beizubehalten. Weniger wohlgesonnene Stimmen mögen meinen, dass dies nur eine nette Umschreibung fürs den Erhalt eines trägen Status Quo wäre. Tatsächlich steht die CDU aber traditionsgemäß nicht für Experimente zur Verfügung, sondern für Verlässlichkeit und Konstanz. Diese Werte sind nicht neu, schon Adenauer, der einzige CDU-Kanzler, der kurzzeitig einer Regierung mit absoluter Mehrheit vorsaß, warb mit dem Wahlspruch „Keine Experimente“. Auch die Union spricht sich laut Wahlprogramm für die Energiewende aus, hat aber das Wohl der Industrie viel deutlicher im Blick als ihre beiden möglichen Koalitionspartner und fordert, dass die Privilegien für Unternehmen bestehen bleiben müssen. Bis 2020 soll lediglich der Energieverbrauch um 20 Prozent und der Stromverbrauch um bis zu 10 Prozent gesenkt werden. Von einem hundertprozentigen oder auch nur fünfundsiebzigprozentigen Umstieg auf Erneuerbare Energien bis 2020 ist in dem Wahlprogramm der Union nichts zu lesen.

Wenn sich der Dunst gelegt hat …

Die Positionen der Sozialdemokraten und der Grünen auf der einen und der CDU/CSU auf der anderen Seite liegen also bedenklich weit auseinander, die Fragen der Energiepolitik sind hierfür nur ein Beispiel. Auch in den anderen Streitpunkten gibt es tiefe Brüche zwischen den beiden Blöcken. Ganz gleich also, wer der neue Partner an der Seite von Frau Merkel werden sollte, er wird von Beginn an Glaubwürdigkeit und politische Ziele einbüßen. Dass die Union politisch auf die Grünen oder die SPD zugeht, ist nicht unbedingt zu erwarten. Es würde nicht dem bedächtigen und abwartenden Vorgehen Merkels entsprechen, das eher dem Prinzip des steten Tropfens gehorcht.

Die Folgen dieser Bundestagswahl werden noch eine Weile zu spüren sein. Zum einen, werden sie voraussichtlich eine neue Führungsriege der Grünen hervorbringen, da die alte gemeinschaftlich ihre Hüte genommen hat, selbstverständlich erst nachdem eine neue Regierung steht. Zum anderen, wird sich die SPD entscheiden müssen, was für eine Partei sie in Zukunft sein will. Will sie entweder der Steigbügelhalter für eine Politik sein, die sie über die letzten Monate hinweg hart verurteilt hat, oder kann sie die Geduld aufbringen, die Union an ihrer eigenen Politik scheitern zu lassen und damit die Möglichkeit für wirkliche Veränderung herbeizuführen. Zum dritten, kann sich die LINKE nun beweisen. Kann sie ein konstruktiver Partner sein und damit tatsächlich eine Veränderung erreichen auch auf Bundesebene, oder wird sie den Weg der unkonstruktiven Vendetta, der noch immer von einigen Mitgliedern verfolgt wird (Stichwort: Bernd Riexingers Auftritt in der Elefantenrunde), beschreiten? Letztlich würde sie damit der Union in die Hände spielen. Dass es anders geht, zeigt die LINKE immer wieder in verschiedenen Landesregierungen.

Vor dem kommenden Freitag sind keine großen Änderungen mehr zu erwarten. Die Führung der Grünen hat ihren Rücktritt angekündigt, beziehungsweise ihre Posten zur Neubesetzung angeboten und die SPD wird nichts entscheiden, bevor man sich nicht am Freitag abgestimmt hat. Bis dahin bleibt es spannend.

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